Montag, 17. November 2008
Hotel Europa
Eine theatrale Grenzüberschreitung
Projektbeschreibung


„Der europäischen Idee im emphatischen Sinne, der Idee einer säkularen, transnationalen, multireligiösen und multiethnischen Willensgemeinschaft, wie sie aus der Aufklärung und der Französischen Revolution erwachsen ist, ist die Universalität wesenseigen. Sie läßt sich nicht relativieren und kennt keine festgefügten geographischen Grenzen. Sie kann nicht einfach in Tarifa oder Ceuta, an den Grenzen Polens oder Bulgariens aufhören. Auch Immanuel Kant begnügte sich mit nichts weniger als dem ewigen Frieden einer Weltföderation republikanisch verfaßter Länder. Natürlich ist das eine Utopie. Aber in dem Augenblick, in dem Europa aufhört, diese Utopie vor Augen zu haben, sich auf diese Utopie hinzubewegen, hört es als Idee auf zu existieren. Ein Europa, das sich verschließt, ist kein Europa mehr. An der Universalität der europäischen Idee festzuhalten heißt eben auch, sich für ihre Ausbreitung einzusetzen.“
[Navid Kermani, Nach Europa]


Die Idee „Europa“ gehört zu den zentralen Projekten der Aufklärung, die mit der Französischen Revolution ihren Ausgang nahm. Europa steht für Menschenrechte, Kultur, Zivilisation, Demokratie und Emanzipation, für Frieden und Freiheit. Doch es ist ebenso der Schauplatz der totalen Infragestellung all dieser Werte und politischen Ideen. Von Europa und insbesondere von Deutschland gingen im letzten Jahrhundert zwei Weltkriege aus, die auf verheerende Weise das Europa der Aufklärung zu vernichten drohten.

Doch die Idee Europa ist heute lebendiger ist als je zuvor. Noch nie in der Geschichte waren so viele Staaten Mitglied der Europäischen Union, noch nie waren die Grenzen zwischen europäischen Ländern so durchlässig und die Arbeitsmärkte so weit geöffnet. Bei allen inneren Konflikten scheint die Idee „Europa“ mehr und mehr Gestalt anzunehmen und die mit ihr verbundene Utopie sich zu realisieren. Allerdings ist das zusammenwachsende Europa heute auch eine Wirtschaftseinheit im Zeitalter der Globalisierung. Besonders an den Außengrenzen Europas wird sichtbar, wo seine buchstäblichen „Grenzen“ liegen. Denn von jenseits dieser Grenzen insbesondere im Osten und Süden aus betrachtet, nimmt sich Europa wie eine Festung aus. Beispielsweise in den Grenzanlagen von Melilla und Ceuta, spanischen Enklaven an der marokkanischen Küste, sterben täglich Afrikaner bei dem Versuch, nach Europa zu gelangen. Die Verschärfungen in der Sicherheits- und Asylpolitik in den letzten Jahren haben nicht zuletzt in Deutschland zu einer deutlich erhöhten Zahl von Abschiebungen Asylsuchender geführt, die meist vor die Tore Europas zurück geschickt werden.

In diesem Theaterprojekt geht es darum, das Verhältnis zwischen der utopischen Idee Europa und ihrer aktuellen politischen und wirtschaftlichen Realität an einem konkreten Beispiel und einem exemplarischen Ort – gewissermaßen vor der eigenen Haustür – zu erkunden. Das ehemalige Moerser Hafthaus in der Haagstraße, das vor seiner Schließung 2005 als Abschiebehaft genutzt wurde, erlaubt eine solche theatrale Erkundungsreise. Etwa 15.000 Menschen warteten in diesem Gefängnis im Laufe seiner Geschichte auf ihre Abschiebung – ein Kosmos von Lebensgeschichten, die von Moers aus in die Welt hinaus reichen. Wir wollen die Geschichte(n) dieses Ortes aufspüren, um uns vom lokalen Standpunkt aus den Konstitutionsbedingungen der Großkonstruktion „Europa“ zu nähern. Was sind die Werte, die Europa begründen? Wer darf an ihnen teilhaben? Und wer wird von diesem Recht mit welcher Begründung ausgeschlossen?

Es geht um die Frage der politischen Teilhabe, die immer auch kulturelle und wirtschaftliche Teilhabe impliziert. Die Migrationshintergründe der Abschiebehäftlinge sind sehr unterschiedlich. Politische Verfolgung, Glaubenskonflikte und wirtschaftliche Not in den Heimatländern gehören zu den wichtigsten Gründen. Wobei die Gründe sich durchaus gegenseitig bedingen. Wer politisch oder religiös verfolgt wird, verliert auch häufig seine wirtschaftliche Existenzgrundlage und flieht nach Europa in der Hoffnung auf eine deutliche Verbesserung der eigenen Lebensbedingungen. Und wird vor Ort zumeist enttäuscht. Die hohe Arbeitslosigkeit und wirtschaftlich angespannte Situation in Deutschland und anderen europäischen Ländern, die dennoch deutlich reicher sind als die meisten Heimatländer der Migranten, konterkariert ihre Hoffnung auf Arbeit und ein besseres Leben. Die Migranten werden häufig abgeschoben und landen am Ende ihrer Reise dort, von wo sie voll Hoffnung aufgebrochen waren. Eine Not, für die Europa und der Westen in Zeiten globalisierter Märkte durchaus mitverantwortlich sind. Das Verhältnis von Migration, Arbeit und wirtschaftlicher Situation im Zeitalter der Globalisierung eröffnet ein weites Themenfeld, das an die Grundfeste der westlichen Gesellschaftsordnung rührt und das eine wichtige Rolle in dem Theaterprojekt spielt.

Das Projekt "Hotel Europa" basiert auf Interviewtexten, die mit Mitarbeitern der Justizvollzugsanstalt und der Gefangenenhilfe geführt wurden, sowie auf Briefen ehemaliger Häftlinge. Daraus ist ein breites Material zur Geschichte und Funktion des Gefängnisses entstanden, das in einen künstlerischen Kontext gebracht, das Moerser Hafthaus zum Schauplatz einer horizontalen und vertikalen Reise durch die Zeit-Räume Europas sowie einer Untersuchung seiner Grenzen macht. Auf dem Weg durch das Gefängnis folgt der Zuschauer dem Gang der Gefangenen. An den ehemaligen Zellen vorbeigeführt, erlebt er eine performative, multimediale und interaktive Theaterinstallation von Stimmen, Körpern, Bildern und Klängen, die sich am Schluss über alle Mauern hinweg zu einem Chor unterschiedlicher Nationalitäten verbinden.

"Hotel Europa" entsteht mit Unterstützung des NRW KULTURsekretariats und in Kooperation mit dem Verein „Der bunte Tisch Moers e.V.“ und der JVA Moers-Kapellen.
















B-Zelle











Grundrisse:
keller (pdf, 558 KB)
erdgeschoss (pdf, 396 KB)
1. obergeschoss ( obergeschoss, 366 KB)
2. obergeschoss ( obergeschoss, 335 KB)
3. obergeschoss ( obergeschoss, 298 KB)
4. obergeschoss ( obergeschoss, 547 KB)

Dateien:

Abschiebehaft Deutschland
abschiebungshaft in deutschland (pdf, 1,041 KB)

Abschiebehaft Ländersituation
abschiebungshaft_laendersituation (pdf, 1,093 KB)

Abschiebehaft in Österreich
schubhaft in europa austria (pdf, 598 KB)

Abschiebehaft_Position Die Grünen
abschiebehaft die grnen (pdf, 346 KB)

Abschiebeurteil OLG Düsseldorf
abschiebeurteil_olg-duesseldorf_040213 (doc, 48 KB)

Guantanoamo-Protokolle (Auszüge)
set_1_0001-0097 (pdf, 2,844 KB)
set_5_0465-0672_revised (pdf, 1,940 KB)

... link